Alte SündenVon Paul Bliß Während die Hochzeitsgäste noch flott beim Tanz waren, stahl sich das junge Paar ungesehen hinaus und schlüpfte in die Reisekleider. Dann kam das Abschiednehmen von Mama und Papa, und dann ging's auf und davon. Als das Pärchen im molligen Coupé allein war, lehnte sich der junge Ehemann an die Schulter seiner jungen Frau, markierte Gähnen und Müdigkeit und sagte schläfrig: „Na, denn gute Nacht, Schatz!” Aber das kleine Frauchen gab ihm schmollend einen derben Nasenstüber und sagte resolut: „Glaub' nur ja nicht, mein Lieber, daß ich Dich schlafen lasse!” „Sondern !” fragte er heiter. „Du wirst mich jetzt unterhalten! Nun bin ich Deine Frau und darf das verlangen,” entgegnete sie launig. „Gut, unterhalten wir uns also!” und im selben Augenblick hatte er sein Weibchen beim Kopf und küßte und herzte es. „Aber, Fritz,” wehrte sie ihm lachend, „Du ruinierst ja meine ganze Frisur!” Er aber ließ sie nicht frei, küßte und drückte sie tapfer weiter, indem er rief: „Was Dir recht ist, ist mir billig; ich will mich auch unterhalten!” Als das so ein Weilchen gegangen war, fragte sie plötzlich: „Du, Fritz, wie weit fahren wir denn heute?” „Das wird eine Ueberraschung!” „Nein, so sag's doch gleich, Fritz!” bat sie weiter. „Nichts da,ich will Dich überraschen,” und so schloß er ihren Mund mit einem langen Kuß. Wiederum ein paar Minuten später begann sie von neuem: „Du, Fritz, Mann, ich möchte Dich mal etwas fragen.” „Schieß los!” Und mit neckischem Lächeln fragte sie: „Sag' mal, Fritz, bin ich Deine erste wirkliche Liebe?” Ein wenig erstaunt sah er sie an. Dann erwiderte er burschikos: „Meine erste und einzige!” „Nein, Fritz, ernsthaft,” bat sie. „Na, gewiß, ernsthaft,” sagte er. Sie aber, ein wenig schmollend: „Ich möchte so gern etwas aus deinem Vorleben wissen.” „Das kann ich mir denken,” platzte er lachend heraus. „Erzähl' mir doch was, ja? Bitte, bitte!” „Nein, mein Schatz, das tu' ich nicht. Das Vorleben des Mannes ist ein wunder Punkt, an dem man nicht rühren soll. — Uebrigens ist das nicht halb so schlimm, als Du glaubst. Ich war ein sehr solider und braver junger Mann und es ist wenig passiert, was Dich interessieren könnte.” „Aber Du hast doch schon geliebt, nicht wahr?” Lächelnd sagte er: „Mein Gott, ich bin doch nicht ungestraft dreißig Jahre alt geworden.” „Siehst Du, davon möchte ich etwas Näheres wissen,” rief die eifrig. „Und weshalb, wenn man fragen darf?” „Nun, ich möcht's eben gern wissen.” Da aber schüttelte er den Kopf und sagte: „Nein, mein Schatz, davon erfährst Du nichts und Du verlierst auch garnichts daran. Uebrigens ist das tot und vergessen, denn von dem Tage an, als ich Dich kennen lernte, habe ich einen Strich gemacht durch meine Vergangenheit. So, und nun kommt die Ueberraschung. — Weißt Du, welcher Station wir uns jetzt nähern?” „Potsdam, denke ich.” „Stimmt. Dort bleiben wir bis morgen früh.” „Hier in Potsdam bleiben wir?” fragte sie mit einer leisen Enttäuschung. „Ganz recht, hier machen wir Halt,” nickte er, „hier werden wir hoffentlich ruhig und gut schlafen, denn ich will's Dir nur gestehen, ich bin furchtbar müde und kaput.” Die kleine Frau zog ein Mäulchen und schwieg. „Na, was schmollst Du denn, Schatz?” fragte er, als er das Gepäck zusammengesucht hatte und zum Aussteigen fertig war. „Ich dachte, wir würden weiter fahren,” sagte sie nur. „Aber, Kindchen, es ist doch ganz gleich, die Hauptsache ist doch, daß wir gute Zimmer und gute Betten bekommen, damit wir ruhig schlafen können, denn so ein Hochzeitstag ist wirklich etwas Angreifendes.” Wieder schwieg sie. Der Zug hielt. Sie stiegen aus und fuhren ins Hotel, in dem er telegraphisch die Zimmer bestellt hatte. Unterwegs, als man über das holprige Pflaster Potsdams fuhr, sagte er: „Weißt Du, Schatz, nun wollen wir, bevor wir uns zur Ruhe begeben, noch einen Happen essen, denn — unter uns gesagt — ich habe einen Bärenhunger.” Schmollend antwortete sie: „Seit den letzten zehn Minuten sprichst Du nur von Schlafen und Essen; und ich muß sagen, daß ich mir eine Hochzeitsreise denn doch etwas unterhaltender vorgestellt habe.” Darauf sagte er lächelnd: „Kommt noch, Schatz, immer Geduld, kommt noch alles. Zuerst muß man des Leibes gedenken, nachher kommt die gute Laune von selbst.” Der Wagen hielt. Man war vor dem Hotel. Sie stiegen aus, suchten ihre Zimmer auf und machten ein wenig Toilette; dann gingen sie hinunter in den Speisesaal, wo sie in einer lauschigen Nische Platz nahmen. Während er sich in die Speisekarte vertiefte und schnell ein kleines Souper zusammenstellte, musterte sie die anderen Gäste des Lokals sehr aufmerksam und interessiert. „Nun, Schatz,” begann er, als die wichtige Bestellung erledigt war, „wie fühlst Du Dich denn nun. Ist's nicht recht nett hier?” „Ach, Du kennst dies Hotel wohl schon?” fragte sie erstaunt. „Selbstverständlich,” antwortete er heiter, „ich war ja ein Jahr lang Assessor hier in Potsdam.” „So, so, deshalb auch die Anziehungskraft,” spöttelte sie. Lächelnd klopfte er ihre weichen, zarten Hände und sagte: „Nur keine Hintergedanken, wenn ich bitten darf.” Während das junge Ehepaar so einer schäkernden Unterhaltung sich hingab, saßen an einem der Nebentische drei Herren, die mit Interesse und Spannung beobachteten, was die beiden Liebesleutchen trieben. „Nun sehr doch nur diesen Fritz Heller an,” begann der eine von den dreien. „Hat der Kerl ein Glück bei den Weibern! Es ist geradezu fabelhaft! Was er da wieder für einen süßen Käfer aufgespießt hat!” Alle lachten. Dann sagte ein Zweiter: „Und wenn ich noch daran denke, was er hier für Sachen erlebt hat, als er damals ein Jahr hier war — einfach ein toller Kerl.” Da sagte der Dritte, der so lange geschwiegen: „Kinder, wollen wir dem Heller mal einen Streich spielen? Ich habe eine gloriose Idee.” Gespannt sahen die anderen ihn an. „Wir wollen ihn mal von der reizenden Kleinen da fortgraulen,, was meint Ihr dazu?” „Nicht übel! Aber wie das anstellen?” „Das laßt nur meine Sorge sein, ich mach's schon.” Und damit stand der Dritte auf und ging hinaus. In diesem Augenblick erkannte der junge Ehemann die Bekannten am Nebentische, und man begrüßte sich mit herzlichen Blicken und Zunicken. „Wer ist denn das?” fragte die kleine Frau neugierig. „Gute Freunde und ehemalige Kollegen,” erklärte er, „mit denen ich manche lustige Nacht verbracht habe.” Lächelnd drohte sie ihm: „Na, na, da ist es wohl schön toll hergegangen, wie?” „Schon wieder Hintergedanken?” lachte er belustigt. In diesem Augenblick kamen die Speisen, über die er sich sofort mit Appetit hermachte, während sie nur gelangweilt in den Gerichten herumstocherte. Als man so beim besten Essen war, trat plötzlich der Oberkellner mit einer äußerst wichtigen Miene heran, übergab ein Briefchen und sagte dabei: „Der ist soeben für den Herrn Doktor abgegeben worden.” Erstaunt legte Fritz Messer und Gabel hin und besah das Kuvert von allen Seiten. Und noch erstaunter war natürlich die kleine Frau. „Was ist denn das nun wieder?” fragte sie ungeduldig. Er aber, ohne zu antworten, öffnete und las für sich: „Mein Herr! „Ich habe Sie heute mit einer Dame ankommen sehen. Jedenfalls wieder eins Ihrer armen Opfer. Wer aber dies schöne Fräulein auch immer sei: diesmal schweige ich nicht! Sie wissem, was Sie mir versprochen haben. Das Versprechen haben Sie nicht gehalten. Bis jetzt habe ich gehofft, daß Sie zu mir zurückkehren würden, nun sehe ich, daß Sie mich schändlich betrogen haben. Ich sage Ihnen, wenn Sie nicht heute abend noch zu mir kommen und Ihr Versprechen sofort einlösen, dann mache ich im Hotel einen derartigen Skandal, daß Sie vor Scham in die Erde sinken sollen. Also erwarte ich Sie um ½10 Uhr draußen an der Jägerkaserne. Sie haben die Wahl. Bertha.” Er las und las noch einmal. Der Appetit schien ihm plötzlich vergangen. Endlich faltete er das Schreiben zusammen, lächelte spitzbübisch und steckte es in die Tasche. „Nun?” fragte die junge Frau erstaunt, „möchtest Du mir denn nicht sagen, was man Dir da Interessantes mitgeteilt hat?” Da sah er ihr offen und ehrlich ins Gesicht und begann mit bittender Stimme: „Schatz, ich muß Dir ein Geständnis machen. Ich sagte Dir ja schon, daß ich hier längere zeit gelebt habe. Damals war ich Junggeselle und — und,” er nahm einen kleinen anlauf, „na, kurz und gut, da bin ich denn damals manchmal mit anderen Damen schon hier gewesen: Du begreifst so etwas, nicht wahr?” Verdutzt sah sie ihn an, überhörte aber seine letzte Frage und begann dann: „Nun, und Dein Geständnis?&” „Das war es ja, Schatz,” antwortete er heiter, ihre Hände streichelnd. „Aber der Brief!” Gespannt sah sie ihn an. Und er, fein lächelnd: „Du siehst doch da drüben die Herren, nicht wahr? Nun, diese früheren Bekannten von mir haben mich damals hier eben manchmal mit einer Dame — es war sogar nicht immer dieselbe — sitzen sehen, und da sie von unserer schnellen Heirat jedenfalls nichts wissen, so nehmen sie sn, daß ich hier nicht mit meiner süßen, angebeteten, kleinen Frau, sondern eben wieder mit — mit — na ja, Du verstehst wohl . . . .” Sie lächelte, wurde aber sofort wieder ernst und sagte: „Da hast Du mich ja in eine n ette Situation gebracht; das muß man sagen!” „Aber, mein liebes Frauchen, ich ahnte ja nicht —” Sie aber schnell: „Na und der Brief?” Behutsam, ohne daß die anderen es merkten, schob er ihr den Brief hin, und bat: „Lies ihn, aber laß es die da drüben nicht merken.” Sofort machte sich das junge Frauchen darüber her. Als sie zu Ende war, lächelte sie wieder und fragte: „Das ist ein Ulk, wie?” Lächelnd nickte er: „Und zwar ein sehr plumper; sie wollen mich von hier fort haben, um Dir den Hof machen zu können, das ist doch klar?” „Nun, und was gedenkst Du jetzt zutun?” fragte das Frauchen mit Laune, da sie sich schon auf ein kleines, harmloses Abenteuer freute. Eine Augenblick sann er nach, dann meinte er: „Das einfachste wäre, wir suchten gleich unsere Zimmer auf.” Aber da kam er schön an. „Nein, mein Lieber,” rief sie. heiter werdend, „das machen wir denn doch nicht! Jetzt will ich diese Freunde auch kennen lernen, und deshalb wirdt Du die Güte haben, aufzustehen und die Herren zu uns heranbitten.” Natürlich widersprach er zuerst und machte alle möglichen Einwendungen, schließlich aber ist Frauenwille ja immer noch Gotteswille, und so stand er auf, und wollte eben zu den drei Freunden hinübergehen, als ihr plötzlich einfiel,daß sie sich auf der Hochzeitsreise befanden — und dies den fremden leuten zu erzählen, war ihr denn doch zu peinlich, deshalb verzichtete sie lieber auf die Bekanntschaft. Aber geschehen sollte doch etwas, damit die drei Freunde einsehen lernten, wen sie da vor sich hatten, und deshalb langte sie das Briefchem heraus, nahm ihr goldenes Bleistiftchen und schrieb auf die leere Seite folgende Worte: „Mein Mann ist untröstlich, nicht kommen zu können! Bite, trösten Sie doch das arme Fräulein Bertha! Frau Melania Heller.” Und dann schrieb er darunter: „Wir sind nämlich auf der Hochzeitsreise! Fritz Heller.” Dieses Briefchen kuvertierten sie und ließen es durch den Oberkellner an dem Tisch der drei Herren abgeveb, wo es gerade in dem Augenblick ankam, als das junge Paar mit heimlichem Lächeln zurTür des Saales hinausging. Die drei Herren aber, obgleich sie von der hohen Obrigkeit waren, machten keine geistreichen Gesichter. — — — |